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Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 13:37
von Lilian
Die nächste Woche war nach dem aufwühlenden Wochenende fast schon wieder so etwas wie Normalität. Und doch war alles anders. Der Unterricht war gleich und Yukarin war immer noch kühl zu ihm, während Javier weiterhin mit ihm seine Scherze trieb und ihn neckte. Darion war so verständnisvoll und lieb wie immer, während Marlins Strickunterricht eine willkommne Abwechslung war. Mehr wie ein Treffen zwischen zwei Freunden als ein richtiger Unterricht.
Aber bei keinem von ihnen schaffte Lilian es zu sagen was er jetzt war. Nein, schon immer gewesen war. Er wollte es nicht verheimlichen, doch es war überraschend schwer es zur Sprache zu bringen. Wie fing man so etwas an? Hallo, ich bin auch ein Mädchen und habe von beiden Geschlechtern etwas? Es machte ihn unwohl nur daran zu denken. Lilian hatte Angst vor den Reaktionen und was sich dann alles ändern würde. Je mehr er darüber redete desto realer würde es. Außerdem hatte der Adelige gesagt, die anderen würden ihn deswegen vielleicht necken. Was bedeutete das? Lilian hatte Angst es herauszufinden. Er war so unsicher über sich selbst, diese Balance fühlte sich so zerbrechlich an, dass er sich gerade lieber vor allen Äußerungen schützen wollte.
Aerys drängte ihn zum Glück nicht deswegen etwas zu unternehmen. Er schien zufrieden, wenn dieses Wissen erst einmal nur zwischen ihnen beiden blieb. Lilian hatte das Gefühl, dass es sie näher zusammengebracht hatte. Der Prinz hatte ihn akzeptiert wie er war und es ermunterte Lilian das gleiche zu tun.
Wenn sie kuschelten und küssten war der Jüngling nun auch aktiver. Er streichelte Aerys immer öfter oder küsste ihn am Hals. Manchmal traute er sich auch das Oberteil des Prinzen auszuziehen und seine eigene nackte Brust daran zu drücken. Das fühlte sich toll an. Aber an die Hose wagte er sich noch nicht und irgendwann wusste er dann nicht wie es weitergehen oder was er noch machen konnte, weswegen Lilian dann ganz froh war wenn Aerys wieder die Führung übernahm. Trotzdem fühlte es sich für Lilian alles sehr intensiv an. Einen Schritt weiter als das was sie bisher gemacht hatten.
Aber bis zum Ende genießen tat Aerys nicht. Meistens ging er danach zu sich duschen und kam erst etwas später wieder. Dabei hatte Lilian auch eine Dusche.
Eine der Abende übernachtete der Prinz auch nicht bei ihm. Er war noch mit Malen beschäftigt. Lilian verstand, doch es war sehr ungewohnt plötzlich wieder alleine zu schlafen. Lauter Gedanken gingen ihm da im Kopf herum und sobald Aerys nicht bei ihm war, hatte Lilian wieder Zeit an seine Familie zu denken. An das richtige Zuhause. Er hatte es irgendwie aus den Augen verloren.
Der Geburtstag des Adeligen näherte sich immer schneller. Eine Woche war vergangen und Lilian war sich immer noch unsicher, was er Aerys schenken könnte. Er wollte etwas basteln, aber er war so unkreativ und es wollte ihm nichts einfallen. Wenigstens kam ihm die Idee, dass er das sehr knappe aufreizende Kleid zum Geburtstag tragen könnte von dem er vor ein paar Wochen noch geflohen war. Es war seitdem auch nicht von selbst im Schrank gelandet. So musste Lilian wohl oder übel den Gang zur Schneiderei wagen.
Inzwischen konnte er sich freier durch das Anwesen bewegen. Aerys holte ihn nach der Schule nicht immer ab und brachte ihn gleich in sein Zimmer. Manchmal vergaß der Prinz es oder war beschäftigt. Lilian konnte die Zeit nutzen sich mit seinen Freunden zu treffen. Nach draußen durfte Lilian leider nicht, aber sie konnten Karten spielen, sich unterhalten oder im Trainingsraum ein bißchen trainieren.
Dieses Mal verschlug es seinen Weg zur Schneiderei. Lilian hatte seinen Lederranzen geschultert, trug noch seine Uniform. Aerys hatte ihm ein kleines metallenes Glöckchen für den Ranzen geschenkt und das klimperte nun bei jedem Schritt leicht. Horatio war in der Schneiderei zum Glück damit beschäftigt dem neuen Anzug des Adeligen den letzten Schliff zu verleihen. Das war bestimmt für seinen Geburtstag.
Lilian wandte sich an den Gehilfen. "Du, Licus... meinst du, ich kann jetzt das... Bonbonkleid haben?", wisperte er, so dass der Blutige nichts davon mitbekam. "Es ist für Aerys' Geburtstag." Lilian hatte ja versprochen, dass er das Kleid für eine besondere Gelegenheit aufbewahren wollte. Licus war zum Glück nicht verletzt, dass dies so lange gedauert hatte. Er freute sich schon darauf Lilian damit zu sehen.
"Ähm ja...", nuschelte Lilian unsicher. Er wusste nicht, ob er sich traute es für das große Essen schon anzuziehen. Und was wenn Aerys erwartete, dass Lilian sein weißes Kleid trug? Er hatte zum Glück schon ewig nicht mehr darauf bestanden und Lilian hatte nichts dagegen, dass es in Vergessenheit geraten war. Wenn er die Wahl hatte, würde er trotzdem lieber ein knappes Kleidchen tragen als das Leinenkleid. Aber es war schon sehr knapp. Sehr bunt. Sehr... auffällig.
Es war dazu geschneidert, dass man sich daran erfreute. Vielleicht sogar, dass andere es heiß fanden. Jeder am Essenstisch würde wissen wieso Lilian das trug. Damit es Aerys gefiel.
Aber vielleicht würde das Kleid helfen, dass Lilian den Mut fand am Geburtstag noch etwas weiter zu gehen. Es war schön zu sehen und zu spüren wie dem Prinzen ihre intimen Momente genoss. Lilian merkte immer stärker, dass er Aerys dies geben wollte. Aber war er damit jetzt ein Kunstwerk? Der Gedanke machte ihn elend.
Licus versprach das Kleid nach oben zu schicken.
Lilian war aber weiterhin ratlos wegen dem Bastelpart. Ob es darüber Bücher gab?
Erst am anderen Tag traute Lilian sich deswegen Yukarin anzusprechen. Es war schwierig, denn der Blutige ließ ihn weiterhin keine Bücher ausleihen und beobachtete ihn mit Argusaugen, wenn Lilian ein Buch für den Unterricht in der Bibliothek nutzte. Lilian hatte viel getan um es wieder gutzumachen. Er wagte kaum die Bücher ganz aufzuschlagen aus Angst sie zu beschädigen. Er bemühte sich die Hausaufgaben extra schön und ordentlich aufzuschreiben. Allerdings hatte die Qualität gelitten seitdem Lilian die Untersuchung gehabt hatte. Den ersten Tag danach hatte Yukarin die Aufgaben missbilligend gemustert und gleich erkannt, dass nicht nur Fehler darin waren, sondern auch Sachen vergessen worden waren oder in der falschen Reihenfolge standen. Lilian hatte Besserung gelobt, aber oft wanderten seine Gedanken und dass er auch ein Mädchen war, beschäftigte ihn sehr. Manchmal redete er mit Aerys darüber und er führte auch ein Protokoll darüber, wann die Hexensignatur auftauchte, aber es half nur bedingt dass er sich mit seiner neuen Identität anfreundete. Das Lesen der Untersuchungsergebnisse, die er erhalten hatte, wühlte ihn zusätzlich auf.
Er schämte sich dafür. Sonst hätte er es seinen Freunden sicher längst gesagt. Wenn es etwas tolles gewesen wäre, hätte er es ihnen sofort mitgeteilt. Stattdessen behielt er es für sich.
"Yukarin.. ich würde gerne etwas für Aerys' Geburtstag basteln", begann Lilian als der Unterricht beendet war und der Bibliothekar sich bereits wieder abwandte. Wie als wolle er über den Unterricht hinaus nichts das geringste mit Lilian zu tun haben. Lilian fasste sich ein Herz und versuchte trotzdem erneut eine Bindung zu dem verschlossenen Blutigen aufzubauen.
"Ich weiß aber nicht was. Es soll eine Überraschung sein", erklärte der zierliche Junge. "Gibt es Bücher über.. ehm Basteln? Ich habe Papier, Bleistifte und bunte Wassermalfarben. Kann man daraus etwas machen? Hast du eine Idee?"
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 13:40
von Yukarin
Wie es der Meister gefordert hatte, unterrichtete Yukarin Lilian gehorsam weiter, obwohl sie dieses Buch auf so schändliche, rücksichtslose Weise zerstört hatte. Doch der Meister hatte es sich so unbedingt gewünscht. Gegen diese Innigkeit hatte er sich nicht wehren können. Spass machte es Yukarin jedoch keinen mehr. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sehr es ihm gefallen hatte Lilian zu unterrichten. Sie war so wissbegierig und lernte federleicht. Sie war klug und Yukarin wusste, dass sie es weit bringen konnte. Leider war sie auch sehr ichbezogen und ignorant. So sehr, dass sie sogar ein Buch zerstört hatte. Yukarin war enttäuscht von ihr und so machte es ihm auch keinen Spass mehr, sie weiter zu unterrichten.
In letzter Zeit wurde es besonders unangenehm. Zu Anfang hatte Lilian sich wenigstens noch Mühe gegeben, doch nun waren die Hausaufgaben, die sie machte eine reine Katastrophe. Sie waren voller Fehler, unvollständig und durcheinander. Yukarin nahm zwar schon an, dass es etwas mit Lilians Untersuchung zu tun hatte, von der geredet wurde. Trotzdem war er der Meinung, dass dies keine Entschuldigung für solch schludrige Arbeiten war. Oder man sagte wenigstens, dass man durcheinander war und sich nicht konzentrieren konnte. Das hier war jedoch einfach nur eine Verschwendung seiner Zeit und er sehnte sich danach, dass der Unterricht für heute bald fertig war.
Leider war er dann nicht schnell genug, um die Bibliothek erst einmal zu verlassen, bis Lilian auch gegangen war. Sie hielt ihn schon vorher auf, weil sie gerne etwas für den Meister basteln wolle. Mit ausdrucksloser Mimik wartete Yukarin ab, ob noch etwas folgte, mit dem er etwas anfangen konnte. Es wurde jedoch nicht besser. Lilian erklärte ihm nur, dass sie nicht wisse, was sie basteln solle. Nur, dass es eine Überraschung werden sollte. Redlich bemüht nicht verärgert oder gelangweilt auszuschauen, wartete Yukarin schweigend ab, bis endlich eine Frage kam, mit der er etwas anfangen konnte.
"Warte hier", wies er Lilian streng an. Er wollte sie lieber nicht durch die Gänge der Regale stromern lassen. Selbst wenn er dabei war. Er musste sich auf die Buchtitel konzentrieren. Da war es besser, wenn Lilian an ihrem Lesetisch blieb und nicht in die unmittelbare Nähe der Bücher gelangte. Ausserdem war er schneller, wenn er alleine nach den Büchern suchte. Es dauerte auch nicht lange, ehe er mit einem Stapel Bücher zu Lilian zurück kam und diese behutsam vor ihr auf den Tisch legte. Es war eine Auswahl von Bücher übers Zeichnen, Malen, Basteln und Origami. Darin würde Lilian hoffentlich etwas finden, was sie inspirierte. Vorallem hoffentlich bevor es draussen dunkel wurde.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 13:43
von Lilian
Yukarin sagte erst nichts dazu, so dass Lilian bereits befürchtete, dass der Blutige ihn abweisen würde. Dann wies er ihn in strengem Tonfall an hier zu warten ehe er zwischen den Regalen verschwand. Lilian schluckte und blieb dicht neben seinem kleinen Tisch stehen. Seit er das Buch aus Versehen beschädigt hatte, war Yukarin noch strenger als sonst. Und kleine Mittagspausen im Garten gab es schon gar nicht mehr. Er war der einzige gewesen, der Lilian einfach so mit nach draußen genommen hatte. Der Jüngling wusste nicht wie er wieder Zugang zu dem Bibliothekar bekommen sollte und dann hatte er seine ganz eigenen Sorgen und schweren Gedanken über seine neue Idenität gehabt. Darunter hatte leider auch der Unterricht gelitten. Lilian versuchte sich darauf zu konzentrieren, aber es klappte nicht ganz. Oft musste er daran denken, dass seine Eltern ihn angelogen hatten und dass es außerhalb des Anwesens Menschen geben sollte, die ihn als nicht normal ansehen würden. Die ihm schaden würden, wenn sie davon wüssten. Aerys beteuerte, dass er gut und richtig war, doch Lilian musste akzeptieren, dass er jetzt nicht mehr für alle... richtig war. Er gehörte nicht mehr zur Gesellschaft dazu. Es war schwer zu verdauen.
Seine Hand strich nachdenklich über seinen Unterleib. Dort wo dieser andere Teil von ihm war.
Als Yukarin mit einem kleinen Stapel Bücher zurückkam, ließ Lilian die Hand hastig sinken.
Mit viel Bedacht legte der Bibliothekar die Bücher auf den Tisch.
"Danke", bedankte sich Lilian kleinlaut. "Darf ich sie mir anschauen?" Er fragte jetzt bei jedem Buch vorher lieber. Yukarin wirkte immer noch so als wollte er ihm die Bücher lieber entreißen, um sie vor ihm zu schützen.
Der Jüngling setzte sich wieder an den Tisch. "Gibt es ein Buch für Anfänger?", wagte er zu fragen. Wortlos suchte Yukarin ihm ein Buch heraus. Ganz behutsam schlug Lilian es auf, um die ersten Texte durchzulesen. Sein Lehrer nahm wieder Platz hinter seinem Pult. Stille füllte erneut die Bibliothek. Lilian wagte nicht durch das Buch zu blättern, um sich Inspirationen zu holen. Stattdessen bemühte er sich jede Seite genau zu lesen. Was war Origami? Papier falten? Da waren praktische Anweisungen, doch Lilian hatte kein Papier zum Falten. Er konnte sich nicht vorstellen wie das gehen sollte.
Die Zeit verging, aber Yukarin ließ ihn nicht aus den Augen. Lilian durfte nicht mehr alleine mit einem Buch sein, aber damit hielt er auch den Bibliothekar auf, der bestimmt seiner Freizeit nachgehen wollte.
"Tut mir leid, dass du auf mich warten musst", entschuldigte sich Lilian betreten. "Es ist doch mein erster Geburtstag mit Aerys. Da wollte ich etwas für ihn machen." Er verstummte weil Yukarin nicht so wirkte als interessiere es ihn.
"Weißt du wie Origami geht?", fragte der Junge.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 14:34
von Yukarin
Er fühlte sich nicht bemüssigt, auf die Frage zu antworten, ob Lilian sich die Bücher anschauen dürfte. Wenn dem so gewesen wäre, hätte er Lilian noch nicht einmal den Zutritt zur Bibliothek erlaubt. Leider durfte er ihr jedoch die meisten Bücher nicht verwehren, weswegen Lilian sie sich anschauen durfte. Wenigstens hatte der Meister ihm erlaubt, Lilian dabei streng zu beaufsichtigen. So konnte Yukarin zumindest verhindern, dass sie wieder irgend eine dumme Idee hatte, was sie ausprobieren wollte, worunter dann ein Buch zu leiden hatte. So brav und ordentlich sie auf den ersten Blick auch wirkte, Yukarin wusste es besser. Sie war ein rücksichtsloser Wildfang.
Wortlos suchte er ihr auf seine Frage hin ein Kinderbuch für Bastelarbeiten aus dem Stapel heraus und legte es ihr hin. Die meisten Bücher waren für Anfänger und nicht für Fortgeschrittene gedacht, da Yukarin annahm, dass Lilian noch nicht viel Erfahrung darin hatte. Der Bibliothekar dachte eben mit. Sonst hätte sie nicht auf diese Weise nach Büchern mit Bastelanleitungen gefragt. Sonst hätte sie konkreter nach dem gefragt, was sie suchte. Das bunte Kinderbuch war jedenfalls das einfachste von allen. Passend zu Lilian, wie der Bibliothekar fand. Da Lilian beleidigenderweise noch nicht einmal auf den Gedanken kam, dass Yukarin ihr die richtigen Bücher raussuchen würde.
Unglücklich über seine Schülerin setzte sich Yukarin schweigend wieder hinter seinen Schreibtisch und wartete. Damit den Bastelbüchern auch wirklich nichts geschah, liess Yukarin sie nicht aus den Augen und nahm sich nichts selber zum Lesen oder bereitete weiteren Unterricht für Lilian vor. Er konnte sich in ihrer Gegenwart ohnehin nicht entspannen. So würde er weder die Ruhe zum Lesen noch zum Vorbereiten finden. Leider hatte Lilian nicht vor, sich ein Thema heraus zu suchen und sich dann über das zu informieren. Nein, sie wollte jede Seite einzeln ganz genau durchlesen. Yukarin konnte sich auf eine lange Nacht einstellen. Der Geburtstag des Meisters würde vorbei sein, ehe Lilian die Bücher durchgearbeitet hatte.
Wenigstens erkannte Lilian von selbst, dass sie ihm zur Last fiel und entschuldigte sich dafür. Aber anstatt dann zügig weiter zu lesen fing sie an zu plaudern. Dass es doch ihr erster Geburtstag mit dem Meister wäre. Da wollte sie etwas für ihn machen. Was grundsätzlich nett und verständlich war. Aber einerseits kam sie sehr knapp damit und andererseits sollte sie vorwärts machen und Yukarin nicht mit Dingen zuquatschen, die ihn nur von seiner Freizeit abhielten. Ausserdem ging es ihn absolut gegen den Strich, dass Lilian den Meister so vermessen vertraulich beim Vornamen ansprach. Er fand, das stand ihr nicht zu. Leider stand es ihm selbst auch nicht zu, darüber zu werden. Und leider liess Lilian einfach nicht locker.
"Ja, ich weiss, wie Origami geht", bestätigte eisig. "Es ist eine hohe Kunst, die viel innere Gelassenheit und Ruhe und ein sehr exaktes Arbeiten bedarf." Obwohl sein Tonfall reservierter Höflichkeit entsprach, war ihm anzuhören, dass er Lilian die Kunst des Papierfaltens nicht wirklich zutraute. Zumindest nicht mehr. Früher hatte sie exakter gearbeitet. Yukarin hatte es geschätzt. Doch nun schien alles wie weggeblasen zu sein und sie mussten sich beide durch den Unterricht quälen.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 14:49
von Lilian
Es war eine sehr unangenehme Atmosphäre und egal was Lilian versuchte, es wollte nicht gelingen. Der Jugendliche wusste nicht wie er Yukarins Vertrauen zurückerlangen konnte. Vielleicht nie mehr. Der Bibliothekar war nun schon seit zwei Wochen bereits böse mit ihm, was auch den Unterricht längst nicht mehr so schön machte. Jeder zaghafte Vorstoß oder Versuch wurde mit Abweisung begegnet. Auch jetzt als Lilian versuchte über die Bastelbücher eine Bindung zu dem Blutigen aufzubauen, ging es eher nach hinten los. Yukarin interessierte sich nicht dafür und Lilian fiel mal wieder nur zur Last. Der Junge schluckte und bemühte sich alles richtig zu machen, doch er hatte das Gefühl, dass Yukarin ihn weiter mit missbilligenden Blicken taxierte. Darunter fühlte Lilian sich erst recht klein.
Als er fragte, ob der Bibliothekar Origami falten konnte, bestätigte es der Blutige in eisigem Tonfall und erklärte dann, dass es eine hohe Kunst wäre wozu man viel innere Gelassenheit, Ruhe und exaktes Arbeiten benötigte.
"Oh", sagte Lilian nur kleinlaut. Er hatte genau gehört, dass Yukarin ihn dafür nicht geeignet hielt. Vielleicht hatte er sogar recht. Lilian hatte überlegt, ob er nicht den Blutigen bei einer positiven Antwort darum bitten könnte es ihm beizubringen. Eventuell hätte sie das wieder näher zusammengebracht. Aber nun traute er sich nicht mehr, nachdem sein Lehrer so abschätzig reagiert hatte.
"Ich glaube mir fehlt die innere Gelassenheit", gab Lilian zu. Er zögerte einen Moment. "Ich würde es gerne versuchen." Vorsichtig blickte er Yukarin an.
Dieser erklärte kühl, dass man dazu spezielles Papier bräuchte. Aber weder bot er solches Papier an noch dass er es ihm zeigen könnte. Lilian ließ sich nicht entmutigen und versuchte es erneut.
"Hast du zufällig solches Papier?", fragte er. Der Bibliothekar blickte ihn an als hätte Lilian ihn gerade nach seinem neugeborenem Kind gefragt. Jedenfalls nichts was Yukarin mit ihm teilen wollte. Abweisend erklärte er, dass Lilian deswegen bei Coranis anfragen könne. Der Jüngling ließ die Schultern hängen. Dann nahm er all seinen Mut zusammen. Mehr als ihn ablehnen und mit bitterbösen Blicken strafen, konnte Yukarin ihn hoffentlich nicht.
"Ich würde es gerne von dir lernen", sagte er. "Wenn es Präzision und Gelassenheit fordert, kannst du bestimmt schöne Origami falten." Mit großen Augen blickte er Yukarin bittend an.
"Bitte, würdest du es mir zeigen? Das wäre toll. Ich geb mir auch ganz viel Mühe", versprach der Junge eindringlich.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 14:56
von Yukarin
Lilian erkannte ganz recht, dass ihr die innere Gelassenheit dazu fehlte. Nicht nur das, fügte Yukarin gedanklich hinzu. Auch an Genauigkeit mangelte es Lilian zur Zeit sehr. Dabei war es Anfangs noch ganz anders gewesen. Yukarin hatte es gefallen, wie hart Lilian studiert hatte und auch alles hatte richtig machen wollen. Doch jetzt war Lilian wie ausgewechselt. Als ob sie glaube, mit allem durchzukommen, wo sie kaum dafür bestraft worden war, nachdem sie das Buch auf so widerliche Weise zerstört hatte. Yukarin hasste es. Und noch wütender machte es ihn, dass Lilian ihn überhaupt so hatte enttäuschen können.
"Du wirst spezielles Papier dafür brauchen", zwang ihn sein Anstand trotzdem, Lilian darauf hinzuweisen, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie es trotz allem versuchen wolle. Yukarin fand es unverschämt. Lilian wollte immer das, was sie nicht hatte. Sie hatte schon selbst zugegeben, dass ihr die nötige, innere Ruhe fehlte. Trotzdem wollte sie es ausprobieren, anstatt dem Meister etwas zu schenken, was sie auch wirklich herstellen konnte. Aber vielleicht ging es gar nicht um das Geschenk. Vielleicht wollte sie ihn auch einfach nur bestrafen, weil er es nicht mehr zuliess, dass sie Bücher aus der Bibliothek ausleihte. Weil er sie zwang sorgsam damit umzugehen, zwang sie nun ihn, Zeit mit ihr zu verbringen und hinderte ihn damit daran, Dinge zu tun, die ihm gefielen.
"Du kannst bei Coranis nach Origamipapier anfragen", wehrte er eisig empört Lilians Frage ab, ob er zufällig solches Papier hatte. Natürlich hatte er solches Papier. Und natürlich wollte Lilian es auch von ihm haben. Wie so vieles anderes auch. Das war dermassen unverschämt, es verschlug Yukarin beinahe den Atem. Es kostete ihn viel Lilian ihre Frechheit nicht um die Ohren zu schlagen und es nur bei einem finsteren Blick zu lassen.
Zu seinem Entsetzen lenkte Lilian jedoch nicht endlich ein und ging zu Coranis, um ihn nach Papier zu fragen. Stattdessen blickte sie ihn mit grossen, seltsam goldenen Augen an. Das war noch so etwas, was ihn an Lilian irritierte. Wo war das rosé ihrer Augen geblieben? Damit hat sie viel süsser ausgesehen. Ihn flehentlich anblickend beharrte sie, Origami von ihm zu lernen. Er könne bestimmt schöen Origami falten, wenn es Präzision und Gelassenheit forderte. Yukarin sollte es ihr bitte zeigen. Das wäre toll und sie würde sich auch ganz viel Mühe geben.
"Das gehört nicht zum Unterrichtsplan, den ich dir geben muss", wehrte Yukarin knapp ab. Er spürte, wie ihm die innere Gelassenheit ebenfalls fehlte. Lilian musste ihn gar nicht so anschauen. "Handarbeit hast du bei Marlin. Frag ihn. Warum willst du dem Meister etwas schenken, dass du ohnehin nicht kannst. Das lernst du niemals in der kurzen Zeit. Nicht so wie du dich inzwischen anstellst. Einmal davon abgesehen hast du selbst gesagt, dass dir die innere Gelassenheit fehlt. Du wirst also ohnehin daran scheitern. Also lass es, uns beide damit quälen zu wollen."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 15:04
von Lilian
Egal wie sehr Lilian sich bemühte, Yukarin ließ sich nicht erweichen. Nicht ein Stück. Der Bibliothekar war weiterhin eisig und gemein. Lilian biss sich auf die Lippen, um es nicht so sehr an sich heranzulassen, doch es tat weh in der Brust und seine Augen wurden trotzdem feucht. Nein, nein, er wollte sich von Yukarin nicht fertig machen lassen.
Dieser wollte ihm das Origamifalten nicht zeigen, denn es würde nicht zum Unterricht gehören den er Lilian geben müsste. Musste. Als wäre es der schlimmste Zwang, der ihm auferlegt wurde. Dabei hatte Lilian mal geglaubt, es würde dem Bibliothekar auch Spaß machen sein Wissen zu teilen, aber dies schien vorbei. Seit dem beschädigten Buch. Dabei war es nur eine Seite gewesen, die Lilian aus Versehen kaputt gemacht hatte. Aber für die Männer im Anwesen gab es nicht 'ein bißchen kaputt'. Es gab nur perfekt oder ruiniert und unbrauchbar. Nichts dazwischen. Und das galt leider nicht nur für Bücher. Lilian wusste nicht wie er wieder im Ansehen des Bibliothekars steigen konnte. Mit dem ruinierten Buch schien auch Lilian nun ruiniert.
Yukarin verwies ihn an Marlin, den er für Handarbeit fragen sollte. Wieso wolle er dem Meister überhaupt etwas schenken, was er nicht könne. Das würde er nie in der kurzen Zeit lernen.
Lilian schluckte und seine Unterlippe begann zu zittern. Er ballte die Hände zu kleinen Fäusten. Nicht um loszuschlagen sondern um sich davon abzuhalten zu weinen. Das würde erst recht nicht nach innerer Gelassenheit aussehen. Aber es war schwer bei diesen abkanzelnden Worten gelassen zu bleiben.
Yukarin war der Meinung, dass Lilian sowieso scheitern würde so wie er sich mittlerweile anstelle. Er solle es lieber gleich lassen.
"N-nein", widersprach der Jüngling mit leider viel zu heller Stimme. Überhaupt nicht selbstbewusst. Mist. "Ich.. ich wollt dich schon viel früher fragen, aber ich hab mich nicht getraut, weil ich weiß, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst." Es war nicht Lilians Art Sachen auf den letzten Drücker zu erledigen, doch das Leben in der Villa war alles andere als normal und momentan war es sehr schwer an den Unterricht zu denken. Lilian hatte sich damit von seinem Schicksal hier ablenken wollen, doch es klappte nicht mehr seitdem er wusste was er war.
"Ich versuche mich zu bemühen", beteuerte Lilian. "Bitte. Ich weiß nicht was ich Aerys sonst schenken kann. Ich hab doch nichts und ich bin nicht so kreativ wie er." Aerys war der Künstler. Lilian kam sich da im Gegenzug sehr einfallslos vor. Aber etwas an dem Origami zog ihn an. Er hatte nur ein kleines Bildchen in dem ersten Buch gesehen, aber diese geraden Linien und Kanten sprachen ihn sofort an. Es sah so filigran aus und doch sollte das alles nur aus einem Stück Papier entstanden sein. Es mutete wie Zauberei an.
Aber derjenige, der es ihm hätte beibringen können, verachtete ihn nun.
Lilian hatte ihm genau gebeichtet wie das Anatomiebuch zu Schaden gekommen war und dass er sich darüber gestreichelt hatte, weil er unbedingt ein normaler Junge sein wollte. Schon da war er sehr verwirrt gewesen und hatte Angst vor dieser anderen Seite in sich gehabt, obwohl er noch nicht gewusst hatte wie real sie eigentlich war. Lilian konnte sich nichts peinlicheres vorstellen als dem eigenen Lehrer zu gestehen auf welche Weise man ein Buch befleckt hatte, und trotzdem hatte er es getan. Aerys war dabei gewesen und es hatte so gewirkt, als hätte Yukarin die Entschuldigung angenommen, doch wirklich vergeben schien er ihm nie zu haben.
"Ich wünschte, du würdest mich wieder so sehen wie davor. Ich mach sowas normalerweise nicht. Ich liebe Bücher! Und Lernen und fleißig sein und gewissenhaft", brach es aus Lilian heraus. "Bitte gib mir noch eine Chance", flehte er. "Es tut mir leid, dass ich jetzt so anders bin. Ich wollte das auch nicht."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 15:07
von Yukarin
Doch Lilian konnte es nicht gut sein lassen. Trotzig ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Mit heller, aufgeregter Stimme widersprach sie ihm. Yukarins Miene verdunkelte sich weiter. Was es denn nicht schon genug, dass er sich Tag für Tag mit ihrer Gegenwart abquälte? Musste er nun wirklich auch noch ihre Widerspenstigkeit über sie ergehen lassen? Selbst wenn, sie würden niemals rechtzeitig zum Geburtstag des Meisters fertig werden. Lilian verteidigte sich, dass sie ihn schon viel früher hätte fragen wollen. Hatte sie aber nicht und jetzt war es zu spät. Als wolle sie die Schuld daran, dass sie nicht früher gefragt hatte, ihm zuschieben, erklärte sie, dass sie sich nicht getraut hätte, ihn anzusprechen, weil sie wusste, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Womit sie absolut recht hatte. Trotzdem, das war nicht seine Schuld, dass Lilian nun keine Zeit mehr hatte. Sie sollte das nicht auf ihn abschieben.
Yukarin war kurz davor, aufzustehen, um die Bücher wieder einzusammeln und Lilian aus der Bibliothek zu gehen. Lilian schien es zu merken. Eifrig sprach sie auf ihn ein, dass sie versuchen würde sich zu bemühen. Sie wisse nicht, was sie dem Meister sonst schenken könne. Sie hätte doch nichts und wäre auch nicht so kreativ wie er.
"Davon merkt man nicht viel", stellte Yukarin deutlich klar, dass Lilian versuchte sich zu bemühen. Respektive, vielleicht versuchte sie es tatsächlich, scheitere dabei jedoch kläglich. "Du musst dem Meister jetzt nicht zwingend, gefaltete, kleine Papiertiere schenken. Du hast jede Menge anderer Dinge, die du ihm schenken kannst. Deinen Respekt, deinen Gehorsam, deinen Fleiss, deine Demut. Aber das willst du gar nicht. Du willst ihm unbedingt etwas geben, was du ihm gar nicht geben kannst. Egal was es die Menschen um dich herum kostet." Yukarin wollte sich nicht weiter von Lilian quälen lassen. Ihre Anwesenheit hier im Anwesen und ganz besonders in der Bibliothek war ihm ein Graus.
Da platzte es heftig aus Lilian heraus, dass sie sich wünschte, Yukarin würde sie wieder so sehen, wie zuvor. Sie würde sowas normalerweise nicht machen. Sie liebe Bücher. Und das Lernen und fleissig und gewissenhaft sein. Doch etwas verzweifelt flehte sie darum, dass Yukarin ihr noch eine Chance gäbe. Es täte ihr leid, dass sie jetzt so anders sei. Das hätte sie auch nicht gewollt.
"Ich gebe dir jeden Tag wieder eine neue Chance", erwiderte Yukarin verletzt, dass Lilian das nicht sah. "Jeden Tag bin ich hier und unterrichte dich. Jeden Tag gebe ich dir eine neue Gelegenheit, dich zu beweisen." Obwohl er lieber einen grossen Bogen um sie gemacht hätte. "Und jeden Tag werde ich erneut von dir enttäuscht und herablassend behandelt. Die Art wie du deine Hausaufgaben erledigst ist ganz besonders beleidigend. Dabei habe ich nichts getan, um diese Strafe zu verdienen. Wenn du also willst, dass ich dich wieder so sehe, wie davor, dann solltest du dich auch wieder wie davor verhalten. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass du das Vertrauen je wieder herstellen kannst, welches du zerbrochen hast. Überhaupt, was kümmert es dich, was ich von dir denke? Schon vergessen? Ich bin ein Blutiger. Du hasst uns und du tust alles, um uns vor dem Meister schlecht zu machen."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 15:09
von Lilian
Yukarin lehnte ihn weiter brüsk ab und verurteilte Lilians Versuche vorneherein zum Scheitern. Er würde nichts zustande bringen und er müsse dem Meister nicht unbedingt Papiertiere schenken. Lilian horchte auf.
"Daraus kann man kleine Papiertiere falten?", fragte er interessiert und versuchte nicht an sich heranzulassen, dass Yukarin seine Bemühungen für jämmerlich hielt. An kleine Papiertiere zu denken war da tröstlicher. So weit war er in dem Buch nicht gekommen. Er hatte nur eine Schachtel und eine Blume gesehen. Aber Yukarin hielt es für besser, wenn man dem Adeligen Fleiß, Gehorsam, Respekt und Demut schenke. Lilian verzog das Gesicht. Das waren keine richtigen Geschenke und der Blutige verstand auch nicht, was er zusammen mit Aerys hatte. Das war etwas ganz spezielles.
"Ich respektiere ihn", wandte der Jugendliche trotzdem ein. "Ich möchte ihm etwas schenken, damit er sieht, dass ich an ihn gedacht habe und ihn mag, und etwas dass ihn an diesen Tag erinnert."
Leider hielt Yukarin das für völlig unmöglich. Lilian wollte dem Prinzen etwas schenken, was er ihm gar nicht geben könne. Egal was es die anderen Menschen um ihn herum koste.
"Es muss nicht perfekt sein", warf Lilian ein. Und was kostete es Yukarin? Mochte er gar nichts mehr mit ihm zu tun haben?
Noch einmal versuchte der Jüngling sich zu entschuldigen und den Bibliothekar wieder für sich zu erwärmen. Dessen harsche Worte trieben ihm allmählich Tränen in die Augen, obwohl er es verzweifelt zu verhindern versuchte. Eindringlich brachte er seine Hoffnung hervor, dass der Blutige ihn wieder besser behandelte.
Es klappte nicht. Yukarin wies ihn zurück und behauptete, dass er ihm jeden Tag neue Chancen gäbe. Er würde ihn jeden Tag unterrichten und jeden Tag würde Lilian ihn erneut enttäuschen und ihn herablassend behandeln. Herablassend? Lilian versuchte es so gut es ging, damit Yukarin nicht mehr böse mit ihm war. Anderseits wusste der Jüngling gerade nicht wie er sein Bestes geben konnte, während er diese neue Bürde mit sich herumtrug, um die seine Gedanken so oft kreisten. Er war ein Mädchen. Seine Eltern hatten ihn angelogen. Er hatte Anlagen einer Frau. Ihm könnten Brüste wachsen. Seine Signatur veränderte sich unkontrolliert. Die anderen würden ihn deswegen aufziehen und außerhalb der Villa würde man ihm schlimme Dinge antun, wenn man von seinem unnatürlichen Körper wüsste.
Aber das konnte er Yukarin nicht erklären. Wenn der sich schon an Lilians Hausaufgaben entrüstete, wie würde er erst reagieren wenn Lilian ihm davon erzählte?
Der Blutige beschwerte sich dann, dass Lilian ihn bestrafen würde, obwohl er es nicht verdient hätte. Sie könne das Vertrauen nicht wieder herstellen. Nichtmal wenn sie sich wieder wie zuvor verhielte. Aber was war zuvor? Yukarin wusste überhaupt nicht was passiert war und es schien ihn auch nicht zu interessieren, dachte Lilian verletzt. Aber es war nichts neues im Anwesen, dass man oft nichts unternahm wenn Lilian unter dem Leben hier litt. Sie warteten einfach bis er sich daran gewöhnte. Bis er einer von ihnen wurde.
Aber auch Yukarin fühlte sich unverstanden und ignoriert wie Lilian zu hören bekam. Er warf ihr vor, dass sie alle Blutigen hassen würde und alles tun würde, um sie vor dem Meister schlecht zu reden.
Erschrocken blickte Lilian den Blutigen an. "Das ist nicht wahr", wehrte er sich mit zittriger Stimme. "Ich hasse niemanden im Anwesen, aber ich mags nicht wenn ihr gemein zu mir seid und dann wehre ich mich." Wenn Blutige sauer auf ihn waren, dann nur, weil sie es nicht gewohnt waren, dass sich jemand wehrte. Aber eigentlich hatte Lilian gedacht, er würde sich mit allen so gut es ging arrangieren. Er ging den Blutigen meistens aus dem Weg, um nichts zu riskieren. Außer Lucero, Javier und Yukarin.
"Aber bei dir habe ich versucht mich wieder zu vertragen. Ich möchte schon, dass du mich magst. Du bist doch mein Lehrer", versuchte der Junge zu erklären. "Jedenfalls warst du das. Jetzt machst du nur noch den Unterricht, aber beibringen willst du mir nichts mehr."
Es war Lilians Problem, wenn er etwas nicht verstand. Es war Lilians Problem, wenn er mit den Hausaufgaben kämpfte. Auch als Lilian gebeichtet hatte, dass er Probleme damit hatte ob er nun ein Mädchen oder Junge sein sollte, hatte Yukarin ihn weggeschickt und gemeint er solle Javier diese Fragen stellen.
"Und ich bin herablassend? Ich wollte nicht... du bist auch herablassend", warf er dem Bibliothekar vor. "Dich interessiert nur noch ob ich auf meinem Platz sitze und ob die Hausaufgaben da sind. Und gar nicht wieso ich Probleme habe beim Lernen... ich wollte nicht respektlos mit dem Buch umgehen. Es war ein dummes Versehen! Ich wollte nur ein normaler Junge sein, aber das geht jetzt eh nie mehr."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 16:01
von Yukarin
Yukarin ignorierte Lilians interessierte Frage ob man kleine Papiertiere falten könne schlichtweg. Dazu machte sie ihn viel zu wütend. Besonders ihre herablassende Art, wie sie das Gesicht darüber verzog, was Yukarin ihr vorschlug, dass sie dem Meister schenken könne. Für Yukarin waren das die grössten, wertvollsten Geschenke, die man jemanden schenken konnte. Durch Lilians Grimasse fühlte er sich herabgesetzt und schlecht bewertet. Das stiess ihm bitter auf. Dabei sollte sie froh darüber sein. Würde er dem Meister nicht jeden Tag wieder seinen Gehorsam und seine Demut schenken, hätte Lilian schon längst keinen Unterricht mehr bei ihm.
"Ich war nie gemein zu dir", gab sich Yukarin eisern beherrscht Mühe, Lilian nicht wütend anzufauchen. "Trotzdem hast du mich von Anfang an verurteilt und warst unhöflich und beleidigend zu mir." Lilian sollte nicht denken, dass Yukarin vergessen hatte, was sie ihm alles unterstellt hatte, obwohl sie noch nicht einmal richtig miteinander gesprochen hatten. Das war kein Wehren ihrerseits gewesen. Sondern ein gemeiner Angriff von ihr.
Trotzdem hatte er versucht, dem Meister zuliebe, ihr zu verzeihen. Er war sogar soweit gegangen, Leidenschaft für den Unterricht mit ihr zu empfinden. Bis sie ihn erneut brutal verraten hatte. Noch einmal würde er sich nicht von ihr verletzen lassen. Da würde er streng bleiben. Egal, dass sie ihn nun mit Tränen in den Augen anblickte und beteuerte, dass sie versucht hätte, sich wieder mit ihm zu vertragen. Weil sie ja schon wollte, dass er sie mochte. Schliesslich wäre er doch ihr Lehrer. Nein, er würde sich nicht mehr auf sie einlassen. Das war nun ein für allemal vorbei. Das merkte nun wenigstens auch Lilian. Er wäre nicht mehr ihr Lehrer, fand sie. Jetzt würde er nur noch den Unterricht machen, aber beibringen wolle er ihr nichts mehr. Womit sie absolut recht hatte. Schön, dass sie den Unterschied merkte und begriff, was sie verspielt hatte.
"Du hast keine Ahnung, was mich interessiert und was nicht", erwiderte Yukarin allmählich ernsthaft verärgert. Dass Lilian einfach behauptete, dass er herablassend wäre, nur weil sie wütend auf ihn war. Oder dass er ihr einfach egal gewesen wäre. Dabei hatte er ihr den grössten Respekt entgegen gebracht und ihr die Privatsphäre gelassen, ihm von ihren Problemen von sich aus zu erzählen und hatte sie deswegen nicht bedrängt. Und das alles, nachdem sie das Buch zerstört hatte. Er hätte nicht so höflich zu ihr sein müssen.
"Verharmlose es nicht", fuhr er sie scharf an. "Es war kein dummes Versehen. Es war rücksichtslose Gedankenlosigkeit geboren aus Egoismus und Selbstmitleid. Ein normaler Junge sein. Das wäre dir ohnehin nie gelungen. Man kann nicht etwas werden, was man nicht in sich hat. Und nun geh jetzt. Da du ohnehin nur Beleidigungen für mich auf Lager hast und dir die Bücher noch nicht einmal ansiehst, die ich dir rausgesucht habe, habe ich alles Recht dazu, dich der Bibliothek zu verweisen. Der Meister verlangt von mir nur, dich zu unterrichten, was ohnehin zuviel ist. Er verlangt jedoch nicht von mir, dass ich mich auch noch aussserhalb des Unterrichtes von dir quälen lasse. Also geh jetzt, Lilian."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 17:34
von Lilian
Sich zu wehren und Yukarin zu überzeugen ihm noch eine Chance zu geben, klappte so nicht. Der Blutige verteidigte sich mit schneidender Stimme, dass Lilian ihn von Anfang an verurteilt hätte. Er wäre schon immer unhöflich und beleidigend zu ihm gewesen.
"Ich hatte Angst!", wehrte sich der Jüngling. Und von Aerys wusste er, dass Yukarin ihn auch eigentlich nicht zu seinem Zimmer hatte mitnehmen dürfen. "Ich dachte, ich müsste mich vor allen Blutigen schützen." Dass es nicht so war, wusste er mittlerweile und er hatte sich dafür auch bei Yukarin entschuldigt. Lilian hatte gedacht, der Bibliothekar hätte ihm verziehen. Erneut appellierte er an den so kühlen und abweisenden Mann, wollte ihm aufzeigen, dass er kein guter Lehrer mehr war und nur noch den Unterricht so schnell wie möglich beenden wollte anstatt ihm wirklich etwas zu vermitteln. Yukarin wirkte darüber aber nicht einsichtig oder dass er es gar ändern wollte. Mit jeder Äußerung machte er deutlich, dass er Lilian verachtete und nicht mehr Zeit als nötig mit ihm verbringen wollte. Alles über ein Buch. Es tat Lilian so leid und Tränen standen ihm in den goldenen Augen, weil Yukarin so schlecht über ihn dachte. Scharf erklärte der Blutige, dass Lilian nicht wüsste was ihn interessiere oder nicht. Was sollte das heißen? Interessierte es ihn, ob Lilian Probleme hatte oder nicht? Bisher hatte es stets so gewirkt, als würde es den Blutigen nicht kümmern. Dass er froh war sobald er Lilian nicht mehr um sich hatte.
Der zierliche Jüngling schluckte und biss sich auf die Lippen, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Als Lilian nochmal zu erklären versuchte, dass die Beschädigung des Buches ein Versehen gewesen wäre, wurde der Bibliothekar lauter und fuhr ihn wütend an, dass Lilian es nicht verharmlosen sollte. Der Junge erzitterte und war vom Lesepult aufgesprungen, um sich gegebenenfalls in Sicherheit zu bringen. Er hatte Yukarin darum gebeten, dass dieser nicht Marlin an seiner statt bestrafte (wie zuerst angedacht), wenn er wütend mit ihm war oder Lilian etwas falsch gemacht hatte sondern Lilian persönlich. Er wusste nicht, ob der Bibliothekar auch schlug wenn er zornig war so wie Aerys.
Yukarin schimpfte mit ihm, dass es rücksichtslose Gedankenlosigkeit gewesen wäre. Lilian wäre egoistisch und selbstmitleidig. Der Jüngling spürte wie ihm trotz aller verzweifelten Versuche Tränen über die Wangen liefen, die rot vor Scham brannten. Etwas für sich selbst zu tun war hier sehr verpönt. Und Yukarin hatte sicher recht. Lilian war egoistisch gewesen. Er hatte nicht an das Buch gedacht und dass es Schaden nehmen könnte. Das war sonst wirklich nicht seine Art.
"Ein normaler Junge sein. Das wäre dir ohnehin nie gelungen. Man kann nicht etwas werden, was man nicht in sich hat", warf Yukarin ihm dann vor. Lilian schluchzte auf. Vielleicht wusste Yukarin nicht wie sehr Lilian normal hatte sein wollen, aber es tat furchtbar weh es so gesagt zu bekommen. Dass ihm dieser Weg für immer verwehrt war. Er würde nie mehr normal sein. Er würde nicht mehr zur normalen Gesellschaft dazugehören. Ein Außenseiter. Ein komisches Ding. Außerhalb der Gesellschaft. Außerhalb des Protokolles des Blutes.
Lilian fühlte einen schmerzhaften Kloß im Hals, während er nicht anders konnte als vor dem Blutigen zu weinen.
Dieser fuhr ihn an, dass er jetzt gehen sollte. Er hätte das Recht ihn aus der Bibliothek zu schicken, wenn Lilian sich nicht die Bücher anschauen wollte. Das wollte Lilian eigentlich schon, aber jetzt hätte er sicher nur das Papier befleckt und Yukarin würde ihn danach sicher nie mehr auch nur in die Nähe eines Buches lassen.
"E-es tut mir.. l-leid", schluchzte Lilian und nahm seinen Schulranzen. Er wollte nun ebenfalls ganz schnell aus der Bibliothek, um sich irgendwo zu verstecken bevor Yukarin weitere gemeine Dinge zu ihm sagen konnte, obwohl er ja eigentlich nie gemein zu Lilian war. "Ich.. wollt.. wollt so gern ein n-normaler Junge sein, aber... jetzt.." Er schniefte und brachte die folgenden Worte kaum noch heraus, "Bin ich nich... nichtmal ein richtiger Juhunge."
Und diese Erkenntnis tat immer noch weh. War so frisch und ungewohnt.
"Du musst.. musst mich nicht unterrichten, wenn du das so.. so schlimm findest. Ich f-frag Aerys", bot Lilian an, konnte den Blutigen aber nicht mehr ansehen. Hastig wandte er sich zum Gehen. Er hatte nicht geahnt, dass die Versuche sich zu Versöhnen so schief gehen würden. Es war alles noch schlimmer geworden.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 18:33
von Yukarin
Lilian schien endlich zu begreifen, dass Yukarin es nicht zulassen würde, dass sie die schwere ihrer Schandtat herunter spielte. Lilian war nicht beim Gehen einfach gestolpert und dabei war das Buch kaputt gegangen. Nein, er hatte es ganz bewusst und absichtlich einer Gefahr ausgesetzt. Jetzt begannen ihr die Tränen über die Wangen zu rollen, die ihr schon eine Weile in den Augen geglitzert hatten. Yukarin liess sich deswegen jedoch nicht erweichen, egal wie bezaubernd Lilian mit ihren heftig geröteten Wangen und den silber perlenden Tränen aussah. Es war schlimm genug, was sie mit dem Bucht getan hatte, aber es auch noch so herunter zu spielen fand Yukarin einfach nur schändlich. Lilian musste gar nicht versuchen, ihn mit Tränen umstimmen zu wollen. Aber vielleicht war sie ja auch nur so enttäuscht und zornig, dass sie bei ihm nicht ihren Willen bekommen hatte, wie sie es sich sonst gewohnt war.
Resolut machte er ihr klar, dass sie nicht irgend welchen Fantasien nachjagen sollte. Sonst würde sie sich ewig damit quälen. Besser sie lernte das zu schätzen, was sie hatte und das war ein kluger Verstand. Aber den liess sie zur Zeit sehr schleifen. Es machte Yukarin ganz unruhig. Nur Lilian wollte immer das, was sie nicht haben konnte. Ein normaler Junge sein, Origami von ihm beigebracht bekommen. Das war anstrengend und Yukarin dachte nicht daran, sich darin verwickeln zu lassen. Deswegen verwies er Lilian schliesslich streng der Bibliothek. Denn nachdem er sich geweigert hatte, ihr Origami beizubringen, hatte sie nicht mehr weiter in den Büchern nachgeschlagen, was sie dem Meister sonst schenken konnte. Sie ignorierte seine Vorschläge schlichtweg. Beharrte auf dem, was sie sich vorgestellt hatte.
Nun offen vor ihm weinend, entschuldigte Lilian sich schluchzend. Yukarin verstand nicht so recht, warum man dermassen weinen musste, wenn man einmal seinen Willen nicht bekam. Zudem noch bei so etwas kleinem. Lilian war wohl einfach zu verwöhnt, um damit umgehen zu können, wenn jemand einmal nein zu ihr sagte. Schniefend packte sie sich ihren Schulranzen und stammelte, dass sie so gern ei normaler Junge wäre. Nur jetzt wäre sie nicht einmal ein richtiger Junge. Was auch immer das bedeuten sollte. Javier hatte ihr irgend einen Floh ins Ohr gesetzt, dass es Mischwesen gäbe. Seitdem war Lilian unerträglich geworden. Deswegen hatte sie auch das Buch zerstört.
"Ich kann nichts für deine aberwitzigen Wünsche", entgegnete Yukarin reserviert. "Und ich kann auch nichts dafür, wenn sie nicht in Erfüllung gehen. Also lass es nicht an mir aus. Oder an den Büchern." Yukarin traute es Lilian durchaus zu, dass sie ihm zuleide ein Buch gegen eine Wand schmiss oder es aus dem Fenster warf. Erst einmal schmollte Lilian jedoch nur, hielt den Kopf gesenkt, während sie mit ihm sprach und drohte ihm gar, dass sie alles dem Meister sagen würde. Raffiniert wie sie war, packte sie die Drohung in ein scheinbar lieb gemeintes Angebot, dass er sie nicht mehr unterrichten müsse, wenn er es so schlimm fände. Sie würde den Meister fragen. Aber dazu musste sie ihm auch sagen, dass Yukarin ihm nicht gehorchen wollte. Was so nicht stimmte. Er wollte den Meister nicht enttäuschen. Nur hatte dieser nichts davon gesagt, dass er ihm auch bei Bastelarbeiten helfen musste. Yukarin musste sie nur unterrichten.
"Das wird nicht nötig sein", beschied er Lilian streng. "Der Meister wünscht, dass ich dich unterrichte. Also werde ich das auch tun. Ich schenke ihm gerne meinen Gehorsam und meine Hingabe." Etwas was Lilian vorhin so von oben herab belächelt hatte. Dabei wusste sie gar nicht, wieviel dies Yukarin kostete. Doch die Vorstellung, den Meister zu enttäuschen, war noch viel schlimmer. "Ich kann dich jedoch nicht dazu zwingen, ernsthaft zu lernen." Da verbot ihm der Meister gewisse Hilfsmittel. "Wenn du dir also keine Mühe geben willst, dann ist das eben so. Doch du kannst nicht von mir erwarten, dass ich so das Vertrauen in dich zurück gewinne oder dass es mir gar Spass macht, mich in deiner Gegenwart aufhalten zu müssen."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 18:34
von Lilian
Yukarin hatte kein Verständnis für Lilians Lage oder dass er ihn zum Weinen gebracht hatte. Der Blutige war ja auch nicht dafür da, dass er Lilian tröstete und aufbaute. Vielleicht war es zu vermessen darauf zu hoffen, dass Yukarin ihm half und unterstützte. Der Bibliothekar war eindeutig weiterhin verletzt und Lilian belästigte ihn trotzdem und hielt ihn von seinem Feierabend ab, falls es hier so etwas gab.
Doch dass Yukarin fand, er wäre kein normaler Junge und würde das sowieso nie werden, hatte den unsicheren Jugendlichen stark verletzt und an einer frischen Wunde gekratzt von der Lilian selbst noch nicht wusste wie er damit umgehen sollte. Vielleicht hatte Yukarin es positiv gemeint so wie Aerys es oft sagte. Dass Lilian etwas ganz besonderes wäre. Allerdings fühlte Lilian sich gerade nicht sehr besonders. Eher minderwertig und unfähig. Er wollte am liebsten so schnell wie möglich hier weg, obwohl er eigentlich dringend eine Inspiration für den Geburtstag gebraucht hätte. Aber mit Tränen in den Augen stand dem Jüngling keinesfalls der Sinn danach Bastelbücher zu lesen. Er hätte nur das schöne Papier beschädigt.
Schluchzend wandte er sich zum Gehen. Am liebsten wäre er in einem tiefen Loch versunken.
Als er stammelnd hervorbrachte, dass er kein richtiger Junge wäre, obwohl er es gerne gewollt hatte, verteidigte sich der Blutige, dass er für diese aberwitzigen Wünsche nicht zuständig wäre. Lilian sollte das nicht an ihm oder den Büchern auslassen. War es so absurd, dass er ein normaler Junge sein wollte oder war das absurde daran, dass er es eindeutig nicht erreichen würde? Und wieso glaubte Yukarin das?
"Es tut mir leid...", nuschelte Lilian zittrig und hielt den Kopf gesenkt, damit man das Weinen nicht so sehr sah. Verschämt wischte er sich über die Wangen.
Als er anbot Yukarin von seiner Tätigkeit als Lehrer zu erlösen, wo er es als solche Quälerei bezeichnete, wehrte dieser in strengem Tonfall ab. Kühl machte er deutlich, dass er dies nur für Aerys machte und ihm seinen Gehorsam und seine Hingabe gerne schenke. Lilian bemerkte den versteckten Vorwurf, dass er selbst an diesen Tugenden noch zu arbeiten hätte.
Er war gegen seinen Willen hierher gebracht worden. Der Adelige hatte ihm die Entjungferung aufgezwungen. Lilian fand, dass er dafür schon sehr viel Gehorsam und Hingabe an den Tag legte, doch er brachte kein Wort darüber hinaus. Der Jüngling fürchtete, es würde nur ein klägliches Schluchzen herauskommen und für Yukarin würde es sowieso nicht genügen.
Der Blutige bemerkte, dass er Lilian nicht zwingen könne ernsthaft zu lernen. Wenn dieser sich keine Mühe geben wolle, müsse er sich nicht wundern, wenn Yukarin ihm nicht vertraute oder ihn mit Freuden unterrichtete. Der Junge nickte schniefend und starrte seine Fußspitzen an. Er wusste, dass er mit dem Buch viel verspielt hatte. Der Blutige kam ihm nicht wie jemand vor, der viele zweite Chancen gewährte.
"Ich wollt.. euch nicht ent-täuschen", brachte er hervor. "Ich kann mich gerade kaum konzentrieren... meine Gedanken, die sind ständig dabei was.. was ich jetzt bin." Lilian wusste nicht wie er das in Worte fassen sollte und er hatte Angst wie Yukarin reagieren würde, wo er ihn sowieso nicht normal fand.
"Aerys hat.. hat endlich erlaubt, dass mich Tuana noch einmal untersucht, weil ich mich so komisch gefühlt hab und... dabei.. dabei hat sie ganz viel gefunden. Was bei mir nicht wie bei einem normalen Jungen ist", beichtete er und wischte sich wieder über die roten Wangen, einen leisen Schluchzer unterdrückend. Kurz fand er die Kraft Yukarin anzuschauen, doch ihm kam so vor als schaue dieser weiterhin finster, weswegen Lilian hastig wieder den Blick senkte.
Er wusste nicht wie er diese Enthüllung anstellen sollte. Yukarin war der erste dem er es sagte und es wollte ihm einfach nicht richtig gelingen.
"Ich.. also, ich bin kein Junge. Kein richtiger. Ich.. ich bin auch ein Mädchen. Biologisch", krächzte er das letzte Wort. Nicht nur weil ihn die anderen im Anwesen als Mädchen ansehen und behandeln sollten. Nervös spielte Lilian mit dem Griff seines Schulranzens. "Ich hab einen M-mutterleib und Eierstöcke.. und noch andere Dinge, die wie bei einem Mädchen sind. Kleine Stimmbänder. Dass ich nie... wie ein richtiger Mann klingen werde. U-und vielleicht wachsen mir Brüste." Stockend und mit vielen Pausen hatte er alles vorgetragen. Lilian konnte ihn nicht anschauen. Er zitterte vor Anspannung.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 20:50
von Yukarin
Lilian schien endlich verstanden zu haben, dass sie ihn mit Tränen und Ausreden nicht um den Finger wickeln konnte. Entweder sie lernte und war bei der Sache oder sie machte lieber andere Sachen und schluderte die Haushaufgaben nur so dahin. Dann musste sie allerdings auch die Konsequenzen ihres Handelns tragen. Reuig meinte sie, dass sie ihn nicht hätte enttäuschen wollen. Ja, das konnte er sich gut vorstellen, denn nun bekam sie von ihm kein Origami gezeigt. Dass es Lilian ernsthaft wichtig war, was er von ihr dachte, konnte Yukarin nach allem was passiert war, nicht so recht glauben. Vielleicht dachte sie das. Doch Yukarin kam es eher so vor, dass sie es nun bereute, ihre Privilegien verloren zu haben.
Trotzdem, egal, ob der Bibliothekar es wollte oder nicht, setzte Lilian zu einer Erklärung an, dass sie sich zur Zeit kaum konzentrieren könne. Ihre Gedanken wären ständig dabei, was sie jetzt wäre. Yukarin interessierte es nicht sonderlich. Das hätte Lilian ihm sagen sollen, bevor der Unterricht begonnen hatte. Bevor sie Tag für Tag furchtbare Hausaufgaben abgegeben hatte und es für Yukarin ein Graus geworden war, schon nur an den Unterricht mit Lilian zu denken.
Lilian liess sich von seinem unwilligen Blick nicht abhalten. Rasch erzählte er ihm, dass der Meister endlich erlaubt hätte, dass ihn Tuana noch einmal untersuchte, weil er sich so komisch gefühlt hätte. Und dabei hätte sie ganz viel gefunden, was bei ihr nicht wie bei einem normalen Jungen wäre. Diese Geschichte schon wieder. Yukarin hatte langsam genug davon gehört. Lilian war da leider ganz anderer Meinung und erzählte mit roten Wangen, dass sie kein Junge wäre. Zumindest kein richtiger. Sie wäre im biologischen Sinne auch ein Mädchen.
Ungläubig runzelte Yukarin die Stirn. Das klang äusserst aberwitzig, was Lilian da erzählte. Selbst für sie. Stammelnd und krächzend und noch immer verheult erklärte sie ihm, dass sie einen Mutterleib und Eierstöcke und noch andere Dinge hätte, die wie bei einem Mädchen wären. Zum Beispiel kleine Stimmbänder, weswegen sie nie wie ein richtiger Mann klingen würde. Ausserdem würden ihr vielleicht Brüste wachsen. Ungläublig blickte Yukarin Lilian an, die nervös mit dem Griff ihres Schulranzens spielte und vor Anspannung gar zitterte. Sie hatte Zeit für ihre Erklärung gebraucht und hatte sie kaum über die Lippen gebracht.
"Nun...." Yukarin räusperte sich. "Das klingt in der Tat sehr erschreckend", befand er zustimmend, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Er glaubte nicht, dass Lilian ihn anlog. Dazu war sie zu verwirrt. Aber ob sie da wirklich alles richtig verstanden hatte, bezweifelte er doch stark. So etwas gab es nicht wirklich. Oder schon, aber dass sich so ein Mensch mit beiden Geschlechtern ausgerechnet hier her verirrt hatte, war doch schon unglaublich. Andererseits hatte der Meister ein ausgeprägtes Talent dafür, besondere Menschen zu finden.
"Ich kann jetzt verstehen, warum du mir nicht sagen wolltest, dass du zu aufgewühlt für den Unterricht und die Hausaufgaben bist", gestand er Lilian zu. "Insbesondere, warum du mir nicht sagen wolltest, was dich so beschäftigt." Er wünschte nur, Lilian hätte es trotzdem getan und zwar rechtzeitig, bevor sie so viel Zorn und Unverständnis geschürt hatte. Sie hätte ihm ja nicht zu sagen brauchen, was genau los war. Einfach nur, dass sie zur Zeit nicht fähig war, am Unterricht teilzunehmen. Bevor Yukarin sich über den Zustand ihrer Hausaufgaben geärgert hatte.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 21:02
von Lilian
Lilian wartete angespannt darauf wie Yukarin reagieren würde. Er versuchte sich so gut es ging innerlich gegen ablehnende Worte zu wappnen, doch er spürte selbst wie fragil er in der Hinsicht war. Da Lilian selbst noch nicht wusste wie er mit der Neuigkeit umgehen sollte, war es ihm umso wichtiger was andere darüber dachten. Sein Lehrer räusperte sich nach einem Moment und meinte, dass es sehr erschreckend klingen würde. Lilian schluckte. Was war erschreckend? Was Lilian nun war? Darüber zu hören? Dass ihm Brüste wachsen konnten? Unsicher blickte der Jüngling zu Yukarin auf.
„Was findest du daran erschreckend?“, fragte er vorsichtig und scheu. Der Blutige sah ihn etwas irritiert an wie als belästige ihn Lilian mit einer sehr dummen Frage. Dann erklärte er doch noch, dass er es erschreckend fände wenn der eigene Körper plötzlich ganz anders sein sollte als gedacht. Lilian nickte heftig.
„Jaaa“, pflichtete er tief empfunden bei und war sehr froh, dass Yukarin ihn verstand.
Der Bibliothekar fuhr fort, dass er verstehen konnte warum Lilian ihm nicht hatte sagen wollen was ihn so derart beschäftigte, dass er sich nicht dem Unterricht hatte widmen können.
„Ich hab das Gefühl, ich kenn mich selbst gar nicht mehr. Und als wäre mein gesamtes Leben davor eine Lüge gewesen“, versuchte Lilian sich anzuvertrauen. „Ich weiß nicht wie ich lernen kann, wenn ich dauernd daran denken muss.“ Ob Yukarin einen Rat hatte? Oder wollte der Blutige ihm jetzt erst recht nichts beibringen?
Lilians Tränen waren weniger geworden und einem kleinen Schniefen gewichen. Es war aber toll, dass Yukarin ihn verstand. Allerdings begriff Lilian nicht wieso der Blutige betonte, dass er verstehen könne wieso Lilian ausgerechnet ihm nichts gesagt hätte.
„Du bist der erste, dem ich es gesagt habe. Sonst wissen es nur Aerys und Tuana“, erwiderte der Junge. „Ich wusste nicht wie ich es sagen soll. Das ist schwer.“ Er war sich nicht sicher ob er es gut angestellt hatte. Yukarin wirkte auch etwas überrascht und ungläubig. Ob er ihn jetzt anders anschauen oder behandeln würde?
„Findest du das schlimm, dass ich anders bin?“, fragte Lilian. „Nicht normal...“
Dass Yukarin ihn als nicht normal ansah, wusste er bereits, aber war das in den Augen des Bibliothekars nun etwas gutes oder schlechtes? Lilian wollte unbedingt seine Meinung dazu hören, auch damit sie ihm half irgendwann eine eigene Meinung dazu zu finden. Jetzt wusste der Jugendliche noch nicht wie er mit allem umgehen sollte. Haltlos suchte er Rat bei der sicher klügsten Person im ganzen Anwesen.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 21:43
von Yukarin
"Nun, dass der eigene Körper auf einmal ganz anders ist, als man gedacht hat", antwortete Yukarin irritert. Was sollte man denn sonst daran erschreckend finden? Lilian stellte manchmal schon seltsame Fragen. Dafür schien sie um so erleichterter darüber zu sein, wie Yukarins Antwort ausfiel. Tief empfunden stimmte sie ihm zu und auf einmal begannen ihre Tränen zu versiegen und sie schniefte nur noch leise. Höflich rief Yukarin ein Taschentuch herbei und reichte es Lilian, während er ihr zugestand, dass er verstehen könne, warum sie lieber nichts gesagt hatte, anstatt ihm zu erklären, warum sie seinen Unterricht so vernachlässigte.
Dafür war sie, nun wo der Damm gebrochen war, um so gesprächiger. Aufgeregt teilte sie ihm mit, dass sie das Gefühl hätte, sich selbst gar nicht mehr zu kennen. Als wäre ihr gesamtes Leben davor eine Lüge gewesen. Yukarin nickte verhalten. Das konnte er nachvollziehen. Weniger jedoch, dass sie sich nicht aufs lernen konzentrieren konnte. Yukarin vergrub sich besonders tief in seine Bücher, wenn ihn etwas beschäftigte. Allerdings wusste er, dass er diesbezüglich wohl eher einzigartig war. Da überraschte Lilian ihn unvermittelt damit, dass er der Erste wäre, dem sie etwas davon gesagt hatte. Nur der Meister und die Heilerin wüssten Bescheid.
"Tatsächlich?" Yukarin hatte angenommen, dass Lilian so etwas zuerst mit Darion oder seinen anderen Freunden besprechen würde. Denn er glaubte ihr sofort, dass es schwer wäre, über so etwas zu sprechen. "Du hättest es mir nicht sagen müssen." Das war etwas Privates. Etwas Intimes, was man nicht Menschen erzählte, die man nicht mochte oder vor denen man Angst hatte. "Eine kleine Warnung, dass du zur Zeit zu aufgewühlt für den Unterricht hätte genügt." Dann hätte Yukarin nicht so das Gefühl gehabt, Lilian sähe auf ihn herab und wolle ihm mit ihrer Unaufmerksamkeit dafür bestrafen, dass er sie kein Buch mehr ausleihen liess. Lilian hingegen interessierte etwas ganz anderes.
"Warum sollte ich schlimm finden, dass du anders bist?" fragte er ehrlich irritiert nach. "Was hast du nur mit diesem normal sein? Normal gibt es nicht. Es gibt nur geläufig oder von der Gesellschaft anerkannt, aber nicht normal." Yukarin schüttelte seinen Kopf. "Niemand hier ist normal, wie du es nennst. Wärst du so, wärst du niemals hier gelandet. Wir alle hier sind einzigartig. Warum also sollte ich dich für etwas verurteilen, dem ich ebenfalls entspreche? Ich bin ganz bestimmt nicht das, was du als normal bezeichnest. Und darauf bin ich stolz. Ich will gar nicht so sein, wie der Rest der tumben Masse."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: So 14. Feb 2021, 21:46
von Lilian
Scheu nahm Lilian das Taschentuch entgegen und tupfte sich rasch die Tränen ab. Ob das ein Friedensangebot gewesen war oder ob Yukarin ihn immer noch so schnell wie möglich loswerden wollte? Der Blutige nickte verständnisvoll, während Lilian ihm erzählte wie sie sich fühlte und als ob das vorherige Leben eine Lüge gewesen wäre.
Yukarin wirkte erst überrascht als Lilian ihm sagte, dass er der Erste war, der davon erfuhr. Der Bibliothekar bemerkte, dass er es nicht hätte zu wissen brauchen. Ihm hätte eine Warnung gereicht, dass Lilian momentan zu aufgewühlt für den Unterricht gewesen wäre.
"Aber ohne dir zu sagen wieso, wäre das wie eine Ausrede gewesen", fand der Jüngling. Yukarin hätte es vielleicht nicht akzeptiert. Lilian fühlte sich besser nun wo der Blutige quasi eingeweiht war.
"Ich mag es sowieso nicht Sachen zu verheimlichen. Das fühlt sich nicht gut an, aber ich trau mich bei den anderen noch nicht es ihnen zu sagen. Sie haben bestimmt ganz viele Fragen und ich hab noch gar keine Antworten. Oder vielleicht reagieren sie auch komisch..." Es kam Lilian fast schwieriger vor, es seinen Freunden zu beichten als seinem Lehrer, der ihn nicht so gern hatte. Yukarin war sowieso schon unzufrieden mit ihm und hatte ihn nicht mehr um sich haben wollen. Da war das Risiko nicht so groß gewesen es ihm zu erzählen. Aber bei seinen Freunden wusste Lilian es nicht. Ob sie ihn weiterhin mochten? Ob sie sich anders verhalten würden? Das beschäftigte den Jugendlichen durchaus.
Nervös fragte er den Bibliothekar, ob dieser es schlimm fand wie Lilian nun sei, doch dieser war über die Frage nur irritiert. Yukarin erwiderte, dass es für ihn kein normal sein gäbe. Von der Gesellschaft anerkannt, gäbe es, doch nicht normal. Im Anwesen wäre ohnehin niemand normal. Andernfalls wäre Lilian hier nie gelandet. Jeder hier wäre einzigartig und deswegen würde Yukarin Lilian auch nicht verurteilen, denn er wäre ja ebenfalls so.
Der Jüngling blickte den Blutigen mit großen Augen aufmerksam an. Dass Yukarin stolz darauf war nicht normal zu sein, imponierte ihm sehr. Es kam Lilian ungeheuerlich vor, dass Yukarin ganz bewusst nicht normal sein wollte.
"Du bist stolz darauf?", verfolgte er diesen neuen Gedankengang. "Willst du denn nicht dazu gehören? Also zur Gesellschaft? Was hast du gemacht bevor du zum Anwesen gekommen bist?" Ob Yukarin schon damals nicht zur Gesellschaft gehört hatte?
"Ich war normal. Oder das was die meisten für normal halten. Mit einer Ausbildung, einer Freundin... es war alles gut." Lilian hatte gerne dazu gehört. Und dann war er eingezogen worden in den Krieg, aber selbst das war irgendwie normal gewesen, denn alle Männer hatten es gemacht. Er hatte das getan was alle gemacht hatten. Und es war furchtbar gewesen. Der gesamte Krieg und das Kämpfen in Raej und der Sklavenmarkt.
"Ich dachte... wenn ich normal bin, kann ich irgendwann wieder zurück", sagte Lilian leise kummervoll. Als könnte er einfach zurück in sein altes Leben schlüpfen sobald er es zurück nach Dhemlan geschafft hatte. Aber mit der neuen Erkenntnis über sich selbst bröckelte auch diese Illusion gewaltig. Nicht nur, dass er jetzt auch ein Mädchen war. Sein ganzes Zuhause war damit in sich zusammengefallen. Und das war richtig, richtig schwer zu verdauen.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: Mo 15. Feb 2021, 08:07
von Yukarin
Wie sich heraus stellte, war es nicht Vertrauen gewesen, was Lilian dazu bewogen hatte, ihm von seinem Körper zu erzählen. Viel eher war es der Mangel an Vertrauen und Verbundenheit, der Lilian dazu gebracht hatte, es ihm zu sagen. Weil Yukarin eben kein Freund war und damit war es dann wohl auch nicht so schlimm, wenn Yukarin abweisend reagierte oder ihn mit vielen Fragen zudeckte, auf die Lilian keine antworten wusste. Bei ihm musste er nicht fürchten, eine Freundschaft zu verlieren oder sich verletzt fühlen, weil Yukarin womöglich seltsam reagierte.
"Überlasse es ruhig mir, was ich als Ausrede empfinde und was nicht", antwortete der Bibliothekar reserviert. Er glaubte nicht, dass er es nur als Ausrede empfunden hätte, wenn Lilian zu ihm gekommen wäre und gesagt hätte, dass ihn etwas anderes beschäftigte, weswegen sie nicht gut lernen könne. Das ging vielen Leuten so, dass emotionaler Stress sie vom Lernen abhielt. Lilian hatte ihm jedoch nicht zugetraut, dass er das ernst nehmen würde.
Vielleicht lag es daran, dass Lilian selbst gegenüber allem Fremden sehr ablehnend war. So wie er sie alle hier und ihre Lebensweise ablehnte, so fürchtete sie wohl, dass sie von ihnen abgelehnt wurde. Erst recht wo sich nun herausstellte, dass ihr Körper nicht so aufgebaut war, wie sie es angenommen hatte. Etwas irritert machte Yukarin klar, dass er selbst das nicht schlimm fand. Im Gegenteil, er war stolz darauf, nicht normal zu sein. Dieses sogenannte normal sein fand er furchtbar langweilig und stumpfsinnig. ein Gedankengang, den Lilian vollkommen überraschte und sie dazu brachte, ihn mit fragen zu überschütten.
"Lilian, du stellt eine Menge indiskreter Fragen", wies Yukarin sie höflich aber deutlich darauf hin, dass er nicht dazu verpflichtet war, ihr zu antworten und all die persönlichen Dinge über sich zu erzählen. Erst recht nicht, nachdem sie sich ihm gegenüber in letzter Zeit so schlecht verhalten hatte.
"Aber täusche dich nicht selber", riet er ihr etwas sanfter. "Selbst wenn dein Körper so wäre, wie du es erwartet hast, wärst du nicht normal. Wer immer dir das eingeredet hat, hat dir damit keinen Dienst erwiesen. Nur weil du eine Freundin und eine Ausbildung hattest, bist du nicht normal. Notargehilfe warst du, nicht wahr? Was für eine Verschwendung. Die Person, die dich eingestellt hat, hat dich damit regelrecht versklavt. Sie hätte das nicht tun sollen. Sie hätte dir sagen sollen, dass das nichts für dich ist."
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: Mo 15. Feb 2021, 08:52
von Lilian
Der Bibliothekar entgegnete, dass er selbst festlegen würde was er für eine Ausrede hielt und was nicht. Lilian nickte eingeschüchtert. Yukarin war so streng und kühl mit ihm gewesen, dass der Jüngling sich nicht hatte vorstellen können wie der Blutige plötzlich fraglos Verständnis für ihn hatte und ihm einfach abnahm, dass er mit etwas zu Kämpfen hatte. Yukarin vertraute ihm bei den Büchern nicht mehr. Wieso sollte er ihm dann anderwo vertrauen? Aber vielleicht hatte Lilian ihm unrecht getan.
Er wollte einfach nicht, dass sein Lehrer schlecht über ihn dachte. Dieser überraschte ihn damit, dass er stolz darauf wäre nicht normal zu sein. Niemand in der Villa wäre normal und alle wären einzigartig. Lilian nickte. Er hatte mitbekommen, dass es hier sehr speziell war und Aerys redete oft davon, dass er den Kunstwerken nur half sich vollständig zu entfalten. Ganz hatte Lilian das nie glauben können, aber dass man stolz darauf sein konnte nicht normal zu sein und nicht dazu zu gehören, war dem Jugendlichen fremd. Entsprechend beeindruckend war er von Yukarins Haltung. Neugierig bestürmte der Junge ihn mit Fragen, die der Blutige leider alle nicht beantworten wollte. Es wäre indiskret.
"Oh", stockte Lilian, "Tut mir leid." Er nagte an seiner Unterlippe und hielt sich den Arm. Er hatte Yukarin nicht mit Fragen löchern wollen. Der Bibliothekar redete eigentlich nie über sich selbst. So wie viele im Anwesen. Es machte es für Lilian verflixt schwer sie besser kennenzulernen. Vielleicht stellte er sich auch falsch an, grübelte er.
Leider verriet Yukarin nicht sein Geheimnis wie er stolz darauf sein konnte nicht normal zu sein. Für Lilian kam ihm das noch unmöglich vor.
Da erklärte Yukarin, dass Lilian auch ohne einen Körper mit beiden Geschlechtern nicht normal wäre. Jemand hätte ihm dies eingeredet und es hätte ihm nicht geholfen. Lilian wäre nicht normal bloß weil er eine Freundin und eine Ausbildung gehabt hatte. Lilian blickte den Blutigen mit großen Augen an, als der ihm tatsächlich sagte, dass es eine Verschwendung gewesen wäre, dass Lilian ein Notargehilfe gewesen wäre. Man hätte ihn dort versklavt und ihm gleich sagen sollen, dass das nichts für ihn wäre.
Lilian hörte das zum ersten Mal und war entsprechend verblüfft. Er ließ das Taschentuch sinken mit dem er sich die Tränen abgetupft hatte.
"Verschwendung? Aber wieso sollte das nichts für mich sein?", fragte der Jüngling.
Yukarin erklärte ihm, dass er klug genug sei um zu studieren. Zudem könnte er einmal etwas lesen und würde es gleich behalten. Das wäre nicht normal.
Lilians Wangen bekamen eine zarte Röte über diese ungewohnen Komplimente. Aerys gab ihm zwar auch Komplimente, aber er lobte selten, dass Lilian gescheit war.
"Meinst du? Im Anwesen war das bisher nie wichtig", wandte er ein. Sein Talent hatte niemanden interessiert. Lilian hatte in der Anfangszeit oft angeboten, dass er bei der Verwaltung der Villa helfen könne oder in einem Büro, aber er hatte schnell mitbekommen, dass er nicht deswegen hier war. Er war wegen seinem Äußeren hier. Jedenfalls zu Beginn. Irgendwann hatte sich das verändert.
Meine Eltern hatten kein Geld, um mich zur Universität zu schicken", erklärte Lilian. "Ich wäre gerne gegangen. Lernen macht mir Spaß. Normalerweise", fügte er hinzu und scharrte mit dem Fuß über den Boden. "Aber jetzt bin ich so abgelenkt.. dabei will ich das gar nicht sein. Ich möchte doch auch etwas für Aerys' Geburtstag machen, aber mir fällt nichts ein, weil ich dauernd nur daran denken kann was ich nun bin." Es war so doof. Er hatte Antworten bekommen und die hatten bloß noch schwierigere Fragen aufgeworfen.
Re: Aerys Geburtstag
Verfasst: Mo 15. Feb 2021, 09:04
von Yukarin
"Das ist doch offensichtlich", entgegnete Yukarin irritiert, weil Lilian ihn mit so grossen Augen anblickte und kaum glauben konnte, was er ihr gerade gesagt hätte. "Du bist klug genug, um studieren zu können. Du kannst etwas lesen und behälst es sofort im Kopf. Das ist nicht normal. So etwas kann kaum jemand." Lilian hingegen schien es ganz normal vorgekommen zu sein. Dass Yukarin das nun so hervorhebte, zauberte sogar eine sanfte Röte auf seine Wangen. Anscheinend hatte sich aus ihrem früheren Leben noch niemand darüber aufgeregt, dass sie klüger als die anderen war. Da hatte sie wohl Glück gehabt. Früher oder später wäre das schon noch gekommen, dass man sie deswegen gehänselt oder unfair behandelt hätte. Normale Leute hatten es nicht gern, wenn jemand klüger als sie war.
"Natürlich", bestätigte er knapp, was er gerade gesagt hatte. Er hatte keinen Grund Lilian anzulügen. "Und wäre es hier nicht wichtig gewesen, hättest du keinen Unterricht bekommen." Dem Meister war es vielleicht nicht in erster Linie, doch er wusste Klugheit und Wissen durchaus zu schätzen. Aber davon abgesehen, ihm war es wichtig gewesen. Doch das sah Lilian offensichtlich nicht. Oder es war ihr egal. Weil er ihr Lehrer war und es ihn deswegen wohl selbstverständlich zu interessieren hatte. Ob er nun wollte oder nicht.
"Nun, früher oder später hättest du so oder so Ärger in Amdarh bekommen", überlegte Yukarin zurückhaltend. "Die meisten sogenannten normalen Menschen mögen es nicht, wenn jemand klüger oder freundlicher oder hübscher ist als sie. Sie hätten angefangen dich zu ärgern oder dich zu difamieren. Früher oder später passiert das immer. Du hättest nur hoffen können, bis dahin genügend Geld beiseite zu haben, um doch noch studieren gehen zu können, damit du dich in intelektuell gleichwertigen Kreisen hättest bewegen können." Es war eine Schande, dass Lilians Eltern nicht genügend Geld hatten zusammen tragen können, um sie so zu fördern, wie sie es verdient hatte.
"Vielleicht sollten wir den Unterricht ausfallen lassen, bis du dich wieder konzentrieren kannst", schlug er vor. Dazu liess sich vielleicht auch der Meister überzeugen. Es war ja nicht so, dass Yukarin sich weigerte Lilian zu unterrichten. Es brachte nur nichts, solange Lilian nicht lernen konnte. Sie sollte sich besser erst einmal fangen und bis dahin konnte Yukarin sinnvolleres tun, als ihr etwas beizubringen, was sie sich ohnehin nicht merken konnte.
"Wenn du dem Meister etwas schenken möchtest, du aber nur daran denken kannst, was du bist, dann mach doch daraus ein Geschenk", hatte er noch einen weiteren Vorschlag. "Für alles andere kannst du dich ohnehin nicht konzentrieren. Und nun geh bitte, Lilian. Es ist schon spät und ich möchte die Bibliothek noch aufräumen, ehe ich sie verlasse."